Beschläge

Normalerweise sind zum Bau einer Schatulle zwei Materialien nötig: Holz und Metall. Im Gegensatz zum Holz, das den Gesamtcharakter des Objekts bestimmt, hat das Metall aber nur dienende Funktion. In ästhetischer Hinsicht stellt es bei einer Tischlereiarbeit einen Fremdkörper dar. Doch das bedeutet nicht, dass es – wie manche Puristen es sehen – immer Sünde sein muss, Metall zu verwenden. Sondern dass man es begründen muss. Darum lautet unsere Maxime bei Beschlägen: Nur dort, wo es notwendig ist, und dann so unauffällig wie möglich.

Wirklich unverzichtbar ist bei den meisten Schatullentypen im Grunde nur ein Beschlag: das Scharnier, das den Deckel mit dem Korpus verbindet. Grundsätzlich gibt es zwei Arten, ein Scharnier in eine Holzschatulle zu setzen. Man es kann es aufschrauben, das ist anspruchslos, aber nicht besonders schön. Oder man kann es versenken, das ist komplizierter, dafür sieht es unvergleichlich viel eleganter aus. Warum? Weil so das Metall fast vollständig im Holz verborgen ist. Sie ahnen es, wir versenken unsere Scharniere. Diese Technik erfordert höchste Präzision. Mit der Kreissäge werden in die Rückwände von Korpus und Deckel hauchdünne vertikale Schlitze geschnitten, in die dann die Scharnierflügel gesteckt und durch quer in die Wand getriebene Stahlstifte fixiert werden. So bleibt am Ende nur doch das runde Gelenk sichtbar.

Die Lösung ist aber auch in technischer Hinsicht elegant, weil sie zwei Funktion auf einmal erfüllt. Ein versenktes Scharnier ermöglicht nämlich nicht nur das Öffnen der Schatulle, es bringt den Deckel auch im 90-Grad-Winkel zum Stehen. Das wird von jeder guten Schatulle erwartet, aber normalerweise ist dazu eine eigene Vorrichtung nötig. Bei alten Schatullen findet man oft die einfachste Lösung: eine auf den seitlichen Schnittflächen von Deckel und Korpus festgepinnte Stoffschnur. Heutzutage ist der Arretiermechanismus meist in den Beschlag integriert. Sogenannte Winkelstellerscharniere begrenzen die Beweglichkeit auf 90 Grad. Sie sind aber nicht nur aufwendig und teuer in der Herstellung, sie sind auch optisch ziemlich aufdringlich. Darum versucht man, insbesondere bei teuren Humidoren, aus der Not eine Tugend zu machen, indem man sie aus poliertem Messing herstellt. Das sieht irgendwie »edel« aus, tatsächlich kaschiert es eine dürftige Tischlerarbeit.

Gut sieht anders aus, nämlich so: Bevor das Scharnier der Stabilität halber einige Millimeter vom äußeren Rand entfernt versenkt wird, fräst man in die hintere Schnittkante ein rechtwinkliges Relief von einigen Millimetern Breite, das von Deckel und Korpus jeweils 45 Grad abfällt. In die Spitze des Winkels fügt man noch eine kleine Vertiefung, damit das Scharniergelenk Platz hat. Dieses Relief stellt zum einen die Beweglichkeit des Deckels erst her, denn durch die vertikale Lage hätten die Scharnierflügel sonst kein Spiel; zugleich aber stoppt es die Scharnierbewegung, sobald die 45-Grad-Schräge des Deckels auf die des Korpus trifft, also exakt bei 90 Grad. 

Vielleicht fragen Sie sich, warum ich diesem kleinen Teil hier so viel Aufmerksamkeit widme. Nun, natürlich ist am Ende das Gesamtbild einer Schatulle entscheidend, deshalb habe ich an anderer Stelle viel über Formen, Oberflächen und den künstlerischen Entwurf geschrieben. Aber das Gefallen hat eben nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine technische Dimension. Hier wie dort geht es um Details, die als solche möglichst nicht wahrgenommen werden sollen. Aber während eine Intarsie, eine schwarze Zierleiste oder eine Rundung bestenfalls ganz im Gesamteindruck aufgehen, wird ein Scharnier seinen technischen Zweck niemals verleugnen können. Umso bemerkenswerter, wenn es gelingt, diesen kleinen Störenfried nicht nur beinahe unsichtbar zu machen, sondern auch noch so verarbeiten, dass er eine Funktion miterfüllt, die normalerweise eine weitere Vorrichtung erfordert.

Das ist im Übrigen kein Selbstlob, sondern eine Verneigung vor den marrokanischen Handwerkern, die solche Lösungen für unsere Entwürfe finden. Als ich einmal einem Berliner Tischler eine unserer Schatullen zeigte, betrachtete er sie aus verschiedenen Perspektiven, drehte sie hin und her, öffnete und schloß sie, und nickte dabei immer wieder, kurz und beifällig. Nur bei den Scharnieren, die er zum Schluss besah, verweilte sein Blick länger. Sein Nicken verlangsamte sich, gleichzeitig wurde es immer raumgreifender, dann lächelte er, schüttelte den Kopf und sagte: »Unglaublich«.

Das zweite Element aus Metall, das bei einer Schatulle regelmäßig vorkommt, ist der Verschluss. Sieht man von allen außen angebrachten Beschlägen – Haken, Druckknöpfen und ähnlichen Scheußlichkeiten – ab, kommen nur zwei Arten des Verschlusses in Frage: Schlösser und Magneten.

Das Schloß ist ist die aufwendigere Lösung, aber auch hier gilt: aufwendiger ist nicht automatisch besser. Der Hauptgrund für den Einbau eines Schlosses ist die Konvention. Zu einer Schatulle gehört irgendwie ein Schloss, so war es immer schon. Das braucht man gar nicht kleinreden, denn Gewohnheiten sollten nicht ohne Grund verändert werden. Aber man muss darauf hinweisen, dass Schlösser – anders als Scharniere – kein notwendiger Beschlag sind. Sie haben eigentlich keine Funktion, schließlich werden sie einen Dieb nicht davon abhalten, die Schatulle samt Inhalt in den Sack zu stecken. Sieht man vom Dienstpersonal ab, das die sprichwörtliche Gelegenheit nicht zu Dieben machen soll, hat das Schloss an einer Schatulle eine eher symbolische Bedeutung. Es schützt nicht vor Eindringlingen, sondern steckt gegen die Bewohner des eigenen Haushalts, also in der Regel die eigene Familie, eine Sphäre des persönlichen Eigentums ab – ganz gleich ob es sich dabei um Schmuck, Uhren, alte Liebesbriefe oder Reiseandenken handelt. Der Zweck eines Schlosses ist also eher sozialer als  technischer Natur.

Der Einbau eines Schlosses ist ein quasi operativer Eingriff, der drei dauerhafte Spuren nach sich zieht: die Schlossöffnung im Korpus, das Gegenstück am Deckel und das Schlüsselloch an der Vorderseite. Neben der sauberen Anbringung zählt dabei vor allem die Kosmetik. Seit 2014 verwenden wir daher nur noch hochwertige Schlösser mit Blenden aus poliertem Messing. (Einige ältere Exemplare haben noch einfachere, weniger schöne Schlösser. Solange sie noch nicht wieder neu gebaut werden, sind sie daher entsprechend günstiger.) Das Schlüsselloch kann man entweder so lassen, wie es ist. Das hat den Vorteil, dass der Blick so wenig wie möglich von Bild der Holzmaserung abgelenkt wird. Es wirkt aber etwas roh. Diesen Eindruck kann man durch eine Fassung abmildern. Um allerdings unserem Prinzip »Metall nur im Notfall« treu zu bleiben, bringen wir kein Beschläge auf dem Holz an. Stattdessen legen wir eine Holzintarsie von einfacher geometrischer Form ein, in der Regel einen Kreis oder eine Raute von schwarzer Farbe.

Die Alternative zum Schloss ist der Magnetverschluss. Sie ist in jeder Hinsicht ökonomischer: weniger Teile, die zudem deutlich kleiner, einfacher einzubauen und kostengünstiger sind – verglichen mit der großen Lösung ist das ein minimalinvasiver Eingriff, bei dem zudem die Außenwand komplett verschont bleibt. Weil wir besonders starke Magnete aus Neodym-Eisen-Bor (NdFeB) verwenden, genügt als Material ein kleiner Zylinderstift samt einem gleichgeformten Gegenstück aus Edelstahl. Am Ende sieht man oben und unten in der Vorderwand je einen Kreis von maximal 5 mm Durchmesser. Ähnlich wie beim versenkten Scharnier erzielt also auch hier ein kaum sichtbarer Metallbeschlag große Wirkung. Aber nicht nur darum gefällt mir diese Lösung, sondern auch, weil sie das Öffnen der Schatulle zu einem taktilen Vergnügen macht. Beim Schloss benötigen Sie sozusagen ein Besteck, den Schlüssel. Beim Magnetverschluss kommen Ihre Hände dagegen direkt mit dem Holz in Kontakt: Mit jeweils vier Fingern halten Sie die Schatulle an beiden Seitenwänden fest, um dann den Deckel mit den Daumen so lange sanft nach oben zu drücken, bis der leichte Widerstand des Magneten überwunden ist.